Das besondere Exponat (29)

Walter Eichgrün
Professor Otto Becker am Glockenspiel der Garnisonkirche, 1930-1935
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte
Inv.-Nr. FS 16159

Anonyme Karte an Otto Becker, um 1929
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte
Inv.-Nr. SD-2015-58

 

Der Verfassungstag – obwohl kein gesetzlicher Feiertag, doch Anlass an die demokratische Verfasstheit der Weimarer Republik zu erinnern – wurde in Potsdam eher halbherzig begangen. Der Oberbürgermeister Arno Rauscher erstritt sogar vor Gericht, dass an diesem Tage öffentliche Gebäude nicht Schwarz-Rot-Gold beflaggt werden mussten. Entsprechenden Gegenwind erhielt der Glockenist der Garnisonkirche, Professor Otto Becker, als er in einem anonymen Schreiben aufgefordert wurde, nicht am Verfassungstag zu spielen. Die Garnisonkirche verkörperte im Selbstverständnis konservativer und deutschnationaler Kräfte den preußisch-militärischen ‚Geist von Potsdam‘ – und von Ihrem Turm aus sollte „die zum Himmel stinkende Republik“ gefeiert werden? Wir wissen nicht, ob sich Professor Becker tatsächlich den Drohungen gebeugt hatte. Wie politisch das Glockenspiel jedoch sein konnte, erweist eine Erinnerung Sigrid von Rohrs. Weil ihr Ehemann Hansjoachim von Rohr nach dem 20. Juli 1944 als „Staatsfeind“ in der Potsdamer Priesterstraße unweit der Garnisonkirche inhaftiert war, bat sie Otto Becker zum Geburtstag ihres Gatten dessen Lieblingschoräle zu spielen, was der Glockenist bereitwillig tat. „Von jetzt an spielte Prof. Becker noch oft für die Gefangenen“, schrieb Sigrid von Rohr. „Ich glaube, man kann kaum ermessen, was dies für Menschen bedeutete, die in steter Angst und Lebensgefahr schwebten.“